On Justice

A discourse series

  • Dialogue
  • Podcast
  • 2024/2025

Gaza, International Law and the Discourse of Genocide

Die Veranstaltung fand am 9.10.2025 im HAU1 statt. 

Eine Mehrheit internationaler Expert*innen, Rechtswissenschaftler*innen, Historiker*innen und Menschenrechtsorganisationen, darunter auch die UN-Kommission, bezeichnen den israelischen Angriff auf Leben, städtische Strukturen und Lebensgrundlagen in Gaza als Völkermord. Die Gewalt und Zerstörung nach dem mörderischen Angriff der Hamas haben ein Ausmaß erreicht, wie es in der jüngeren Geschichte nur selten vorkam. Dennoch entfacht die Debatte über die Anwendbarkeit des Begriffs “Genozid” in Deutschland nach wie vor hitzige Diskussionen in juristischen, politischen und akademischen Kreisen. Die Diskussion am HAU versucht, in diese Debatte einzugreifen, indem sie eine Analyse der umfangreichen Faktenlage zur Situation vor Ort in Gaza liefert und den Angriff in die Geschichte der Völkermorde seit der Einführung des Völkerrechts nach dem Holocaust einordnet.

Die Debatte darüber, ob die Handlungen Israels einen Genozid darstellen, ist jedoch nicht nur eine Frage der Terminologie: Staaten, die die Völkermordkonvention ratifiziert haben, sind nicht nur verpflichtet, solche Verbrechen selbst zu unterlassen, sondern sie auch anderswo zu verhindern und zu bestrafen. Anstelle von Prävention sehen wir, dass diese Verbrechen im Gegensatz zur Zerstörung von Aleppo oder Grosny mit logistischer, militärischer und diplomatischer Unterstützung der meisten westlichen Länder, vor allem der USA und Deutschlands, durchgeführt wurden. Dies setzt die internationale Ordnung unter massiven Druck: Was geschieht mit dem Status des Völkerrechts, wenn seine Durchsetzung abgelehnt oder ignoriert wird? Wie kann die Rechenschaftspflicht von Staaten angesichts ihrer Mittäterschaft am Völkermord gewährleistet werden?

Der palästinensische Völkerrechtsexperte Ahmed Abofoul und der israelisch-amerikanische Völkermordhistoriker Omer Bartov werden ihre fachlichen Perspektiven einbringen, um die aktuellen Debatten in einen breiteren historischen und rechtlichen Kontext zu stellen.
Das Gespräch wird moderiert von der Völkerrechtlerin Chantal Meloni und der Historikerin Stefanie Schüler-Springorum und wurde in Zusammenarbeit mit Berlin Review, ECCHR und dem HAU Hebbel am Ufer organisiert.

Mit: 

Ahmed Abofoul ist ein in Gaza geborener internationaler Jurist und Rechtsberater bei der Nichtregierungsorganisation für Menschenrechte Al-Haq Europe. Er verfügt über mehr als zehn Jahre Berufserfahrung in der Förderung und Verteidigung der Menschenrechte und der internationalen Gerechtigkeit auf nationaler und internationaler Ebene. 

Omer Bartov ist Historiker und Professor of Holocaust and Genocide Studies an der Brown University in Providence, USA. Er zählt zu den führenden Genozid- und Holocaustforscher. Sein letztes Buch “Genozid, Holocaust und Israel-Palästina, Geschichte im Selbstzeugnis” erschien auf Deutsch im April 2025 im Suhrkamp Verlag.

Chantal Meloni ist Rechtsanwältin und Professorin an der Universität Statale in Mailand, wo sie internationales Strafrecht lehrt. Sie ist Autorin mehrerer international veröffentlichter wissenschaftlicher Bücher und Artikel und war am Internationalen Strafgerichtshof tätig. Seit 2010 berät sie das Palestinian Centre for Human Rights. Seit September 2015 unterstützt sie als Senior Legal Advisor den ECCHR-Programmbereich Völkerstraftaten und rechtliche Verantwortung.

Stefanie Schüler-Springorum ist Historikerin und seit 2011 Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der TU Berlin. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind deutsche und jüdische Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert, Geschlechtergeschichte und spanische Geschichte.

 

 

Straflosigkeit in unsicheren Zeiten

Die Veranstaltung fand am 24.6.2025 im HAU1 statt. 

Schwere Menschenrechtsverbrechen hinterlassen Spuren, die weit über den Moment hinausreichen. Wenn Täter*innen ungestraft davonkommen, verhindert das nicht nur Aufarbeitung und gesellschaftliche Versöhnung – sondern verweigert den Betroffenen ihr Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung. Nur eine ernsthafte Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit der Vergangenheit kann individuellen Schmerz anerkennen, strukturelles Unrecht aufbrechen und den Weg in eine gerechtere Zukunft ebnen.

Wo nationale Justiz versagt, können internationale Institutionen wie der Internationale Strafgerichtshof oder Strafverfahren nach dem Weltrechtsprinzip eingreifen. Doch gibt es Hoffnung im Kampf gegen die Straflosigkeit, wenn Autokrat*innen das Völkerrecht systematisch untergraben?

Die fünfte Ausgabe von “On Justice” vereint Stimmen aus Syrien, Palästina, Gambia, Myanmar und der Ukraine – fünf Kontexte, geprägt von systematischer Gewalt und Menschenrechtsverbrechen und zugleich Orte mutigen Widerstands. Hier wehren sich Menschen, fordern Gerechtigkeit, machen Hoffnung sichtbar.

Gemeinsam wollen wir ihre Erfahrungen hören, diskutieren, was sie verbindet und fragen: Wo liegt in unsicheren Zeiten Hoffnung für eine Welt ohne Straflosigkeit?

 

Es diskutieren:

Tun Khin (Rohingya-Name: Ziaul Gaffar) ist im Bundesstaat Arakan in Burma geboren und aufgewachsen. Er ist Mitbegründer und Präsident der Burmese Rohingya Organization UK, die sich weltweit für die Rechte der Rohingya einsetzt, einer ethnischen Minderheit in Myanmar. Er informierte zahlreiche Regierungsvertreter*innen und Parlamentarier*innen über den Völkermord an den Rohingya. Im November 2019 reichte er in Argentinien eine Klage nach dem Weltrechtsprinzip gegen das Militär und die Zivilregierung Myanmars wegen Völkermordes, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein.

Priscilla Yagu Shalom Ciesay ist Menschenrechtsanwältin und Expertin für humanitäres Völkerrecht mit über 20 Jahren Erfahrung als Juristin und bei den Vereinten Nationen. Sie war unter anderem in New York, dem Sudan, Afghanistan und Gambia tätig – mit Fokus auf Frauenrechte, marginalisierte Gruppen und Übergangsjustiz. Als ehemalige UN-Mandatsträgerin berät sie heute das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) und das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) in Gambia. Sie ist Mitgründerin der Women’s Association for Women & Victims’ Empowerment-Gambia. Derzeit ist sie im Beirat des Human Rights Practice Program der University of Arizona.

Ruham Hawash ist Aktivistin und zivilgesellschaftliche Organisatorin mit Fokus auf die Stärkung von grassroots Initiativen in Palästina, Syrien und darüber hinaus. Sie fördert kollektives Handeln zivilgesellschaftlicher Akteur*innen mit dem Ziel, breitere Befreiungsbewegungen aufzubauen. Ihre Arbeit basiert auf Gerechtigkeit, Rechenschaftspflicht, und dem kontinuierlichen Einsatz für Dekolonisierung im Alltag und Handeln. Im Al-Khatib-Verfahren, dem weltweit ersten Prozess wegen syrischer Staatsfolter, war sie Nebenklägerin.

Wolfgang Kaleck ist Rechtsanwalt, Publizist sowie Mitbegründer und Generalsekretär des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), einer unabhängigen Menschenrechtsorganisation. Er veröffentlichte mehrere Bücher, zuletzt erschien “Die konkrete Utopie der Menschenrechte” (2021), ist seit 2011 PEN-Mitglied und erhielt 2014 den Hermann Kesten-Preis. Zudem ist er der Rechtsbeistand von Edward Snowden.

Kateryna Buriakovska ist Assistenzprofessorin an der Nationalen Rechtsuniversität in Charkiw in der Ukraine. Seit Juli 2022 ist sie Gastforscherin an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen. In ihrer akademischen Arbeit beschäftigt sie sich mit Wirtschaft und Menschenrechten mit einem Fokus auf bewaffneten Konflikten. Als Menschenrechtsanwältin unterstützt sie ukrainische NGOs bei der juristischen Aufarbeitung schwerer Menschenrechtsverletzungen im russischen Angriffskrieg.

Moderation: Arne Bardelle ist Senior Legal Advisor beim European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und arbeitet dort im Programmbereich Völkerstraftaten und rechtliche Verantwortung. Er ist in Berlin als Rechtsanwalt zugelassen.

Umbau des Rechtsstaats von rechts

Die Veranstaltung fand am 21.5.2025 im HAU1 statt.

Lange galt der Rechtsstaat als liberaler Garant für Freiheit, Gleichheit und Schutz vor Machtmissbrauch. Doch immer mehr Parteien instrumentalisieren zunehmend den Begriff der Rechtsstaatlichkeit. Dabei werden Grundrechte relativiert, internationales Recht ausgehöhlt und das individuelle Recht auf Asyl infrage gestellt. Kritische Stimmen aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft und Opposition geraten unter Druck – nach dem Vorbild illiberaler Entwicklungen etwa in den USA. Die Institutionen bleiben bestehen – doch ihre Funktionen verschieben sich: weg vom Schutz individueller Rechte, hin zu einer autoritären Ordnungspolitik.

Die vierte Ausgabe der HAU-Diskursreihe “On Justice” fragt: Wie wird Rechtsstaatlichkeit umgedeutet? Welche Strategien verfolgen rechte Akteur*innen – national wie international? Welche Rolle spielen Begriffe wie Staatsräson, illegale Migration und nationale Sicherheit in diesem Umbau? Und wie können Zivilgesellschaft, Justiz und Wissenschaft dem autoritären Drift wirksam entgegentreten?

Gleichzeitig geht es um mehr als Abwehr: Wie kann ein progressives Rechtsstaatsprojekt aussehen, das die Begrenzung staatlicher Macht ernst nimmt und zugleich für eine radikale Demokratisierung aller Lebensbereiche offen ist? Gefragt ist eine klare Verteidigung und Weiterentwicklung des Rechtsstaats – gegen autoritäre Vereinnahmung, für Gerechtigkeit, Teilhabe und Freiheit.

Es diskutieren:

Maximilian Steinbeis, Jurist und Autor, ist Gründer und Chefredakteur des “Verfassungsblog”, der seit 2009 verfassungsrechtliche und rechtspolitische Themen behandelt. Er ist Mitinitiator des “Thüringen-Projekts”, ein Forschungsprojekt, das untersucht, was auf den Rechtsstaat zukommt, wenn eine autoritär-populistische Partei in Thüringen staatliche Machtmittel in die Hand bekommt. Er ist Autor von “Die verwundbare Demokratie. Strategien gegen die populistische Übernahme” (Hanser Verlag).

Judith Kohlenberger ist Kulturwissenschafterin und Migrationsforscherin zu den Themen Flucht, Migration und nationale wie europäische Asylpolitik. In ihrem 2024 erschienen Buch “Gegen die neue Härte” zeigt sie, welch hohen Preis wir für unsere Abschottung zahlen und setzt der neuen Härte ein Konzept der Zugewandtheit und Empathie entgegen.

Marjam Samadzade hat als Anwältin und Staatsanwältin gearbeitet und ist als Richterin am Amtsgericht Ratzeburg tätig. Von Juli 2022 bis Oktober 2023 war sie Staatssekretärin im Ministerium für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung des Landes Schleswig-Holstein.

Dr. Alexander Schwarz ist Jurist und leitet beim ECCHR stellvertretend den Programmbereich Völkerstraftaten und internationale Verantwortung. In dieser Eigenschaft unterstützt er Betroffene und Überlebende von Menschenrechtsverletzung und schweren Völkerstraftaten vor nationalen und internationalen Gerichten.

My Body, My Rights

Die Veranstaltung fand am 25.3.2025 im HAU1 statt.

Das Recht, über den eigenen Körper zu entscheiden, sollte selbstverständlich sein. Und doch ist es in den wenigsten Ländern der Welt juristisch verankert – auch in Deutschland nicht. Kämpfe um reproduktive Rechte, also um den Anspruch auf reproduktive Gesundheit, auf sexuelle Selbstbestimmung, auf Verhütung oder Schwangerschaftsabbruch führen Feminist*innen seit mehr als einem Jahrhundert, nun kommen sie mit der Konjunktur rechtsextremer Bewegungen noch mehr unter Druck. Theoretiker*innen, prominente Aktivist*innen und juristische Expert*innen aus Osteuropa und Deutschland sowie veranschaulichen in der dritten Ausgabe von “On Justice” die Zusammenhänge zwischen Misogynie, Autoritarismus und Rechtsextremismus und diskutieren über die aktuellen Rechtskämpfe um körperliche und reproduktive Selbstbestimmung auf nationaler sowie internationaler Ebene.

Peggy Piesche ist eine deutsche Literatur- und Kulturwissenschaftlerin. Sie ist in der Bundeszentrale für politische Bildung als Referentin für Diversität, Intersektionalität und Dekolonialität tätig. Sie gilt als eine der bekanntesten Stimmen Schwarzer Frauen in Deutschland.

Leonie Steinl ist Vorsitzende der Strafrechtskommission des Deutschen Juristinnenbundes. Sie forscht zu den Themen Hasskriminalität, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Strafrecht und Geschlechtertheorie sowie Völkerstrafrecht und Transitional Justice.

Tina Tomšič spricht als Netzwerk-Koordinatorin für die europaweite Kampagne “My Voice, My Choice” – eine Bewegung von Aktivist*nnen und Organisationen, die Grund- und reproduktive Rechte einfordert.

Adriana Lamačková ist stellvertretende Direktorin für nationale Rechtsstrategien in Europa am Legal Center for Reproductive Rights.

Ewa Majewska ist eine polnische Philosophin, Aktivistin und Autorin. Sie war aktiv an der antifaschistisch-ökologischen Bewegung und der Frauen- und abtreibungsbewegung in Polen beteiligt. Ihr Buch “Feminist Antifascism: Counterpublics of the Common” ist 2021 bei Verso erschienen.

Zorka Wollny ist eine interdisziplinäre Künstlerin aus Polen, die ihr künstlerisches Projekt “Let’s Make Noise, Sisters!” aus der schwarzen Protestbewegung in Polen vorstellen wird. 

Autoritäre Versuchungen – mit dem Recht gegen Rechts?

1949 wurde als Reaktion auf Staatsterror und Genozid des Nationalsozialismus das Grundgesetz verabschiedet. Mit der Verantwortung für ein “Nie Wieder” sollte es eine erneute Selbstabschaffung der Demokratie und die Unterwanderung von Grundrechten verhindern.
 
Heute, 75 Jahre später, scheinen Demokratie und Grundrechte angesichts illiberaler und autoritärer Tendenzen so stark gefährdet wie schon lange nicht mehr. Droht die Gefahr nur von einer rechtsstaatsfeindlichen Partei wie der AfD, die mit legalen Mitteln an die Macht kommen und das Grundgesetz aushebeln könnte? Werden diese Rechte bereits jetzt übermäßig eingeschränkt, im Namen politischer Ziele wie Staatsräson, Kriegstüchtigkeit oder wehrhafter Demokratie?
Amnesty International etwa beklagt zunehmende Verletzungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und der Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen.

Das Grundgesetz wird damit zu einer der Hauptachsen der Verteidigung demokratischer und pluraler Gesellschaft. Ist dieses in der Nachkriegszeit erdachte Grundgesetz für die pluralen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts noch passend? Ist es auch heute noch strukturell geeignet, Diskriminierungen und Ausschlüssen entgegenzuwirken? Brauchen wir angesichts der momentanen Gefahren mehr Grundgesetz, oder müssen wir das Grundgesetz insgesamt anders denken? Ralf Michaels und Margarita Tsomou laden ein, zu diskutieren, wie das Versprechen des Grundgesetzes von 1949 heute erfüllt und gleichzeitig aktualisiert werden kann, um den derzeitigen Herausforderungen gerecht zu werden.


Diskutierende:
Susanne Baer war Richterin am Bundesverfassungsgericht (2011-2023) und ist Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin

Vanessa E. Thompson ist Professorin für Black Studies and Social Justice am Department of Gender Studies der Queen’s University Kanada. Zusammen mit Daniel Loick brachte sie 2022 bei Suhrkamp den Band “Abolitionismus. Ein Reader” heraus.

Maximilian Steinbeis, Jurist und Autor, ist Gründer und Chefredakteur des “Verfassungsblog”, der seit 2009 verfassungsrechtliche und rechtspolitische Themen behandelt. Er ist Mitinitiator des “Thüringen-Projekts”, ein Forschungsprojekt, das untersucht, was auf den Rechtsstaat zukommt, wenn eine autoritär-populistische Partei in Thüringen staatliche Machtmittel in die Hand bekommt.

Cengiz Barskanmaz ist Professor für Recht der Sozialen Arbeit an der Hochschule Fulda mit den Schwerpunkten Antidiskriminierungsrecht, Grund- und Menschenrechte, Rassismuskritik und Intersektionalität.

Ralf Michaels ist Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg und Professor für Rechtswissenschaft an der Hamburger Universität. Er forscht zu Pluralität von Rechten und in jüngerer Zeit zum Verhältnis von Rechtsstaat und Antisemitismusbekämpfung.

Die Versprechen des Völkerrechts

Die Veranstaltung fand am 7.11.2024 im HAU1 statt.

Unter dem Eindruck zweier Weltkriege einigte sich die internationale Gemeinschaft auf überstaatliche Prinzipien, um die Beziehungen zwischen einzelnen Staaten zu verrechtlichen. Daraus erwuchs eine Weltordnung, die in der UN-Charta von 1945 ihren Fluchtpunkt fand und aus der heraus die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Genfer Flüchtlingskonvention und das humanitäre Völkerrechthervorgegangen sind.
Es ging um Grundprinzipien des Umgangs und der Konfliktlösung zwischen Staaten und damit um eine neue Ordnung der Welt, die ihren Fluchtpunkt in der Charta der Vereinten Nationen von 1945 fand und aus der die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die Genfer Flüchtlingskonvention und das humanitäre Völkerrecht hervorgegangen sind. 

Diesen historischen Errungenschaften ist es zu verdanken, dass heute zwischen Staaten ein allgemeines Gewaltverbot gilt, dass Geflüchtete Schutz genießen sollen und die Zivilbevölkerung bei kriegerischen Auseinandersetzungen zu schonen ist.

In der ersten Ausgabe der neuen HAU-Diskursreihe “On Justice” geht es um Rückblicke und Ausblicke. Was waren die entscheidenden Zäsuren der völkerrechtlichen Entwicklung? Stehen wir gerade wieder an einer solchen Zäsur? Welche Potenziale stecken im Völkerrecht heute und wie bewährt sich das Völkerrecht im heutigen Handgemenge der Kriege und Krisen? Was lässt die Bilanz der Durchsetzung des Völkerrechts befürchten oder erhoffen? Was kommt - und vor allem: Was tun?

Es diskutieren:

Andreas Schüller leitet den ECCHR-Programmbereich Völkerstraftaten und rechtliche Verantwortung. Seit 2009 arbeitet er beim ECCHR unter anderem zu bewaffneten Drohnenangriffen, dem Folterprogramm der USA, Misshandlungen durch britische Soldaten im Irak sowie zu Völkerstraftaten in Syrien, Sri Lanka, Kolumbien und der Ukraine. Er ist europaweit in nationalen Strafverfahren nach dem Weltrechtsprinzip tätig, ebenso vor dem Internationalen Strafgerichtshof und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Kristina Hatas ist Fachreferentin für völkerrechtliche und menschenrechtliche Grundsatzfragen bei Amnesty International. Ihr Schwerpunkt liegt dabei u.a. auf den Themen Klimagerechtigkeit, Wirtschaft du Menschenrechte und Menschenrechte im digitalen Zeitalter. Die studierte Völkerrechtlerin hat zuvor am Hertie Centre for Fundamental Rights gearbeitet und geforscht.

Dr. Nahed Samour ist Rechts- und Islamwissenschaftlerin und forscht an der Radboud University. Sie studierte an den Universitäten Bonn, Birzeit/Ramallah, London (SOAS), Berlin (HU), Harvard und Damaskus. Von 2014 bis 2018 lehrte sie als Junior Faculty am Harvard Law School Institute for Global Law and Policy. Von 2019-2022 war sie Core Emerging Investigator am Integrativen Forschungsinstitut Recht & Gesellschaft der Humboldt-Universität zu Berlin.

Prof. Dr. Matthias Goldmann ist Inhaber des Lehrstuhls für Internationales Recht an der EBS-Universität. Außerdem ist er Wissenschaftlicher Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Seine Forschungsschwerpunkte sind das Recht und die politische Ökonomie des Finanzwesens sowie die Theorie und Geschichte des Europa- und Völkerrechts, insbesondere deren koloniale Vergangenheit.

Moderation:
Armaghan Naghipour ist Rechtsanwältin im Migrations- und Antidiskriminierungsrecht und ehemalige Staatssekretärin für die Bereiche Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung im Land Berlin. Naghipour ist im Vorstand der neuen deutschen Organisationen und Gründerin der Berliner Regionalgruppe des Vereins Anwältinnen Ohne Grenzen.

75 Jahre Grundgesetz

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Die Veranstaltung fand am 28.05.2024 im HAU1 statt. 

1949 wurde als Reaktion auf Staatsterror und Genozid des Nationalsozialismus das Grundgesetz verabschiedet. Mit der Verantwortung für ein “Nie Wieder” sollte es eine erneute Selbstabschaffung der Demokratie und die Unterwanderung von Grundrechten verhindern.
 
Heute, 75 Jahre später, scheinen Demokratie und Grundrechte angesichts illiberaler und autoritärer Tendenzen so stark gefährdet wie schon lange nicht mehr. Droht die Gefahr nur von einer rechtsstaatsfeindlichen Partei wie der AfD, die mit legalen Mitteln an die Macht kommen und das Grundgesetz aushebeln könnte? Werden diese Rechte bereits jetzt übermäßig eingeschränkt, im Namen politischer Ziele wie Staatsräson, Kriegstüchtigkeit oder wehrhafter Demokratie?
Amnesty International etwa beklagt zunehmende Verletzungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und der Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen.

Das Grundgesetz wird damit zu einer der Hauptachsen der Verteidigung demokratischer und pluraler Gesellschaft. Ist dieses in der Nachkriegszeit erdachte Grundgesetz für die pluralen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts noch passend? Ist es auch heute noch strukturell geeignet, Diskriminierungen und Ausschlüssen entgegenzuwirken? Brauchen wir angesichts der momentanen Gefahren mehr Grundgesetz, oder müssen wir das Grundgesetz insgesamt anders denken? Ralf Michaels und Margarita Tsomou laden ein, zu diskutieren, wie das Versprechen des Grundgesetzes von 1949 heute erfüllt und gleichzeitig aktualisiert werden kann, um den derzeitigen Herausforderungen gerecht zu werden.


Diskutierende:
Susanne Baer war Richterin am Bundesverfassungsgericht (2011-2023) und ist Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin

Vanessa E. Thompson ist Professorin für Black Studies and Social Justice am Department of Gender Studies der Queen’s University Kanada. Zusammen mit Daniel Loick brachte sie 2022 bei Suhrkamp den Band “Abolitionismus. Ein Reader” heraus.

Maximilian Steinbeis, Jurist und Autor, ist Gründer und Chefredakteur des “Verfassungsblog”, der seit 2009 verfassungsrechtliche und rechtspolitische Themen behandelt. Er ist Mitinitiator des “Thüringen-Projekts”, ein Forschungsprojekt, das untersucht, was auf den Rechtsstaat zukommt, wenn eine autoritär-populistische Partei in Thüringen staatliche Machtmittel in die Hand bekommt.

Cengiz Barskanmaz ist Professor für Recht der Sozialen Arbeit an der Hochschule Fulda mit den Schwerpunkten Antidiskriminierungsrecht, Grund- und Menschenrechte, Rassismuskritik und Intersektionalität.

Ralf Michaels ist Direktor am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg und Professor für Rechtswissenschaft an der Hamburger Universität. Er forscht zu Pluralität von Rechten und in jüngerer Zeit zum Verhältnis von Rechtsstaat und Antisemitismusbekämpfung.

Can a pluralistic society be defended by relying more strongly on universal equality before the law? In the “On Justice” series, HAU wants to discuss the law as a civil society instrument for progressive movements and struggles for justice. What potential do legal means harbour to enforce the contents of the “Universal Declaration of Human Rights” as well as fundamental rights guaranteed by the constitution in the courtroom? When and how can the law also be used to legally introduce authoritarian restrictions? What is the current state of asylum law, international law or freedom of expression and assembly? What would a law of the future look like in the context of climate catastrophe, sexualised violence, increasing militarisation and growing social divisions?

In order to address these questions and topics, HAU will bring together lawyers and prosecutors with social theorists, journalists, artists and activists in the discussion series “On Justice” in cooperation with the European Centre for Constitutional and Human Rights (ECCHR) in order to address both questions of legal theory and specific legal cases.

Credits

A discourse series by HAU Hebbel am Ufer in cooperation with ECCHR (European Center for Constitutional and Human Rights). Funded by: Bündnis internationaler Produktionshäuser with funds from the Federal Government Commissioner for Culture and the Media.